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Fragwürdige Selbstmorde von Soldaten und Wehrdienstpflicht in der Türkei


Ismail Zagros - Die Nachrichtenagentur ANF meldete am 04. Januar 2012 sechs Todesfälle im Militär, die in nur vier Tagen passierten. Erstaunlicherweise handelte es sich bei den Gestorbenen um kurdischstämmige Soldaten. Nach offiziellen Erklärungen sollen sie entweder Selbstmord begangen haben oder „aus Versehen“ von Kameraden erschossen worden sein. Der aus Êlih (Batman) stammende Ahmet Sezgin soll am 30. Dezember 2011 durch den Schuss eines Kameraden seiner Einheit in Colemêrg-Gever (Hakkari-Yüksekova) getötet worden sein. Ein weiterer Tod eines kurdischstämmigen Soldaten namens Dogukan Kahyaoglu  aus Meletî (Malatya)  wurde am 31. Dezember 2011 gemeldet. Er leistete seinen Wehrdienst in Kastamonu-İnebolu und soll sich mit der Waffe eines Freundes, der Wache hielt, das Leben genommen haben.

In der Silvesternacht in Dilok (Antep), zwei Stunden nachdem Semih Cifti aus Siwerek/Riha (Siverek/Urfa) mit seinen Eltern telefoniert hatte, soll er sich gegen 22 Uhr umgebracht haben. Sein Onkel Kamil Göktaş sagte, dass die tödliche Kugel hinten in den Kopf eingedrungen sei und dies kein Selbstmord sein kann. In der selben Nacht soll sich Lütfü Esmer aus Wan in Elezîz (Elazig) aus unbekannten Gründen das Leben genommen haben. In Canakkale soll sich Deniz Yurtsever aus Dêrsim, der aufgrund psychischer Probleme keine Waffe erhalten konnte, am 02. Januar 2012 mit dem G-3 Gewehr seines Freundes drei Wochen vor seiner Entlassung mit einem Schuss ins Herz umgebracht haben.

Die Nachrichtenagentur ANF meldete am 25. Februar 2012 einen weiteren Tod eines kurdischstämmigen Soldaten aus Wan namens Cetin Borak. Er leistete seinen Wehrdienst in Riha (Urfa). Seine Familie glaubt nicht an einen Selbstmord. „Çetin war ein fröhlicher und glücklicher Mensch, er hatte keinen Grund, Selbstmord zu begehen. Er wurde bestimmt von anderen Personen getötet“, so Vater Abdulcebbar Borak. In der vergangenen Woche soll Cetin Borak bei einem Gespräch mit seinem Onkel Turan Folgendes gesagt haben:„Onkel, hier sind drei Soldaten, die mich belästigen und unterdrücken. Zwei kommen aus Trabzon und einer ist aus Istanbul.“ Onkel Turan Demir glaubt deshalb, dass sein Neffe getötet wurde, weil er ein Kurde ist und dies kein Selbstmord sein könnte.

Die Plattform für Kriegsdienstverweigerung in der Türkei meldete sogar insgesamt 12 fragwürdige Selbstmorde von Soldaten im türkischen Militär für Januar und Februar 2012. Nach offiziellen Erklärungen sollen alle dieser Soldaten Selbstmorde begangen haben. Das Verteidigungsministerium hatte von 408 Selbstmorden im Militär in den letzten fünf Jahren gesprochen.

Wie man es an diesen Meldungen lesen kann, sind solche Todesfälle, vor allem von kurdischstämmigen Soldaten, keine Seltenheit im türkischen Militär. Viele kurdische Rekruten erzählen von Schikanen in der Armee, das Prügel durch Offiziere gehört heute noch zur Standarderfahrung in Uniform. Wer den Militärdienst nicht mit seinem Gewissen vereinbaren kann, hat in der Türkei nur zwei Möglichkeiten: Gefängnis oder Fahnenflucht. Es gibt in der Türkei über eine Million Fahnenflüchtige. Die Wehrpflicht verjährt auch nicht: Wer sich 40 jahrelang erfolgreich drückt und als 60-Jähriger erwischt wird, muss trotzdem einrücken. Denn der Wehr- bzw. sogenannte Vaterlandsdienst ist laut Art. 72 der türkischen Verfassung in Verbindung mit Art. 1 des Gesetzes Nr. 1111 über den Wehrdienstrecht und insbesondere Pflicht jedes männlichen Staatsbürgers. Obwohl die Militärdienstverweigerung aus Gewissensgründen in vielen Staaten sogar in der Verfassung verankert  ist, lehnt die Türkei die Anerkennung der Militärdienstverweigerung aus Gewissensgründen strikt ab. Eine Verweigerung des Militärdienstes wird als Verrat am türkischen Volk und an der türkischen Republik angesehen. Für türkische Staatsbürger, die sich länger als drei Jahre (1095 Tage) im Ausland befinden und dort auch berufstätig sind, besteht die Möglichkeit, den Militärdienst durch eine einmalige Zahlung auf insgesamt 21 Tage zu verkürzen. Für Personen unter 38 Jahren beläuft sich der Betrag auf 5112 Euro, für Personen über 38 Jahren sind es 7668 Euro. Seit dem 31. Dezember 2011 kann man sich auch in der Türkei vom Militärdienst „freikaufen”. Für 30 000 türkische Lira, etwa 13 500 Euro, können sich Wehrdienstpflichtige vom Dienst an der Waffe freikaufen. Diese neue Regel betrifft allein Männer, die älter sind als 30. Man kann es aber auch so ausdrücken: Wer arm ist, wird zum Sterben geschickt. Erdogans Söhne und die seiner Freunde, die müssen nicht an die Front, denn sie haben Geld. Die Mehrheit der Bevölkerung in der Türkei besteht nämlich aus armen Menschen und diese können sich so viel Geld überhaupt nicht leisten.

Das Recht, die Ableistung des Militärdienstes aus Gewissensgründen zu verweigern, leitet sich aus dem Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit ab, welches in einer Reihe von internationalen Menschenrechtsabkommen verankert ist, unter anderem in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und im Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte.

Ismail Zagros, geschrieben am 04.01.2012

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